Filmbesprechung von Anna Bauer
“Ene mene mu…
Deborah Uhde gibt einen Einblick ins private Familienalbum. In einem denkbar einfachen Setting inszeniert die Künstlerin Fotografien ihrer Kindheit, indem sie die Bilder auf einer Tischkante vor sich ablegt. Wir begleiten sie beim Durchsehen der zahlreichen Schnappschüsse und nehmen an ihren Gedanken dazu Teil.
Die Bilder werden auf und wieder abgedeckt. Vor und zurück geht es, um Zusammenhänge zu suchen, wo vielleicht gar keine sind. So ist es, wenn man sich gezielt an etwas zu erinnern versucht, was nicht greifbar ist.
…und raus bist du.”
Wir sehen ein scheinbar normales Familienleben, in dem einer jedoch zunehmend fehlt. Es ist der Vater, der sich aufgrund seiner Schizophrenie immer mehr von der Familie abkapselte. Dies wird nach und nach durch die das jeweilige Bild erläuternden Worte vermittelt. Diese Rede ist eigentlich an ihn gerichtet, jedoch ist spürbar, dass sie ihn nicht erreicht.
Kommunikation als einseitiger und stummer Dialog. Eine Off-Stimme würde uns gewöhnlich die Erzählung eines Films vermitteln. Hier lässt sie sich dagegen durch eingeblendete Schrift mitlesen und lediglich Umgebungsgeräusche sind zu hören: Das Blättern der Fotos, manchmal entfernte, leise Musik. Der Betrachter des Videos muss eine ungewohnte Stille aushalten und teilt damit die Ausgangssituation der Künstlerin. Es ist, als ob uns das Fehlen einer Stimme verdeutlicht, dass die Erzählerin niemanden hat, an den sie sich wenden kann und dass es sich um unausgesprochene, nicht gehörte Gedanken handelt, mit denen man in aller Stille allein ist.
Dabei geht es um familiäre Nähe und Ferne, um die Unmöglichkeit eines Dialogs, um Entfremdung und Einsamkeit.
Mit “Ene Mene Mu” versucht die Künstlerin Deborah Uhde auch die Geschichte ihres Vaters zu rekonstruieren und in einen schlüssigen Verlauf zu stellen. Doch eine Entwicklung darin zu erkennen ist eigentlich schwer möglich; zu groß sind die Lücken, zu wenig weiß man über die zeitlichen Abstände und den Kontext. Und doch bildet man sich unwillkürlich Erklärungen über den Gemütszustand während dieser oder jener Aufnahme.
“Bildhülsen” nennt Uhde dabei diejenigen Fotos, die mehr zu enthüllen vorgeben, als tatsächlich der Fall ist. Auf einer Fotografie findet man kein davor und danach, keinen logischen Ablauf und unser Bildergedächtnis ist weder kontinuierlich noch chronologisch. Es besteht aus Bruchstücken, deren egal wie häufig wiederholte Betrachtung nicht mehr Information zur Verfügung stellt und die schwer zu verstehende Situation nicht verständlicher machen kann.
Deborah Uhde erzählt nicht nur von der Krankheit ihres Vaters und von der Schwierigkeit als Kind und Erwachsene damit umzugehen und die Beziehung trotzdem irgendwie aufrechtzuerhalten, sondern reflektiert zugleich über den Modus von Erinnerung und Erzählung. Über den Sinn und Unsinn der Sinnsuche in Bildern. Über die Hilflosigkeit, mit denen man sich solche Hilfskonstrukte gebraucht, um etwas Nichtfassbares fassbar zu machen.
Anna Bauer