Signifikant

Rezension der Mitgliederausstellung <In Serie>
im Museum für Photographie Braunschweig (19.4. – 2.6.2013)

 

Das Bezeichnende ist vom Bezeichneten verschieden.

So banal, wie es klingt, so unauffällig offen blendet unsere Wahrnehmung diesen Tatbestand gerne aus. Aus der Bewusstheit. Nimmt die Dinge hin, wie sie scheinen.

Das ist gut, wenn wir heil eine stark frequentierte Straße überqueren wollen, also in der Wildnis des Alltags. Weniger gut ist es für das prinzipielle Anliegen, verstehen zu wollen. Dafür müssen wir stolpern. Über Dinge. Die nicht zu passen scheinen. Worein eigentlich?

Eine Faszination des Mediums Fotografie beruht auf gewissen Qualitäten, eben diesen Mechanismus des Ausblendens, diesen Automatismus der Wahrnehmung, wie auch immer – zu boykottieren. Zumindest, wenn sich die Beobachtung mit Neugier mischt, denn andererseits liegt genauso die Vermutung nahe, das Lichtbild würde eine eben genau so vorhandene Realität quasi unverfälscht ehrlich abbilden.

Wenn eine Reihe „Stühle“ heißt, die Stühle zeigt, liegen Signifikant und Signifikat, also das Bezeichnende und das Bezeichnete nicht unbedingt fern auseinander. Um jedoch zur vollständigen Übereinstimmung zu gelangen, müsste der Titel genauer „Fotos von Stühlen“ lauten.

Werfe ich doch einen zweiten Blick auf die scheinbar flache Nähe der Signifikanten zu ihren Signifikaten. Inwiefern steckt dahinter die fotografische Untersuchung eines Motivs?

Eine Untersuchung, die mit kleinen Abweichungen spielt? Ähnliche Kompositionsmerkmale in den Fokus rückt? Etwa den Hintergrund: in unterschiedlichen Stadien vom Verfall betroffene Wände. Oder auch den Lichteinfall, der in dieser dieser Fünferreihe von einem herausstechenden Bild im gleißenden Abendlicht akzentuiert wird. Wer suchet, der findet.

Mir fehlt noch das Knacken. In den Synapsen.

Es besteht keine Notwendigkeit, in der Besprechung dieser Ausstellung allein auf Stühlen herumzureiten.

Dennoch ist mir besonders aufgefallen – insofern signifikant für die Ausstellung: die sich häufende Nähe der Inhalte zu ihren Titeln. Neben den „Stühlen“ auch die “Böden“, die „Zäune von Liskow“ oder das „Kulturhaus Zinnowitz, Usedom“. Doch geht es dabei um eine spitzfindige Titelkritik? Oder um eine anscheinende Deckungsgleichheit, deren Scheinbarkeit hier ergründet werden will?

Qualitativ ähnlich scheinen mir auch die abstrakteren seriellen Untersuchungen von Kompositionsregeln zum Beispiel in Andreas Bormanns achtteiliger Serie „o.T.“; Gefüge urbaner Architekturen, alltäglicher Ansichten und Zwischenräume. Oder Klaus-Henning Foersters „vorübergehend“, wobei die mehrdeutige Bezeichnung bereits ein Vehikel zur offenen Metapher bietet, die sich im Bilde dann bewähren muss. Das „vielschichtig“ Benannte, kommt seinem Signifikaten nicht gleich- und wundersam nach. Von wegen Name und Programm.

Insgesamt nicht uninteressant.

Denn ich finde in dieser zusammengestellten Ansammlung nicht nur im Einzelnen eine Reihung von Ähnlichem, sondern auch eine Schar ähnlicher Reihen. Hier die Unterschiede zu suchen ist die Herausforderung und Aufforderung an den Besucher.

Einladend sind in dieser Hinsicht die sechs Bilder „Cousin & Cousinen“, auf denen offensichtlich etwa in einjährigem Abstand ein Gruppenporträt wiederholt wurde, zum Teil sogar am gleichen Platz. Liegt meine höhere Affinität zu diesen Bildern am Motiv Mensch?

Die Spur der Zeit und des Wachstums zu verfolgen anhand von vier Einzelpersonen und ihrer Gruppierung zueinander enthält eine Menge für die Entdeckerlaune bereit. Zugleich wird innerlich zumindest bei mir auch der Vergleich zu eigenen ähnlichen Familienfotos – und darin enthaltenen Bildregeln – angestoßen.

Einen ähnlichen, an familiären Formationen interessierten Ansatz, verfolgt Sylvia Doebelt in ihren „memoires volontaires“. In dieser Reihe inszeniert sie sich jeweils selbst mit einer zweiten Person aus ihrem näheren Umfeld: ihrer Großmutter, Mutter, Vater, Großvater und offensichtlich Lebensgefährten oder Bruder. Sie schafft dabei ein Spannungsfeld zwischen distanzierter Betrachtung ihrer Betrachtung (ihrer Nächsten) und unauslöschbarer Involviertheit. Der eingenommenen Haltung oder Positionierung, Status und Rolle, die entstanden sind, und aus der es kein Entfliehen gibt. Oder ist dieser Akt der Gewahrwerdung eben der Moment des Bruchs?

Besonders herausragend und für mich daher signifikant im Sinne von bedeutungsvoll, ist die Serie von Merlin Laumert.

„Wie geht es uns heute!“

Hier sind die Menschen abwesend und anwesend zugleich, es sind die Spuren der Lebensstrukturierung, die in diesen Abbildungen zum Tragen kommen. Die Menschen, die diese Ordnung mit Leben füllen, entstehen in der Phantasie des Betrachters. Deren Artefakte weisen symbolische Stärke auf.

Von den großformatigen Abzügen könnte jedes Bild auch als Einzelarbeit bestehen; in der Reihung potenziert sich ihre Kraft und der rote Faden erschließt sich aus dem Zusammenhang.

Die Aufnahmen sind offensichtlich in einer Pflegeeinrichtung für alte Menschen entstanden.

Die Frage im Titel ist in eine Aussage verkehrt, mit den Bildern ist es umgekehrt. Fünf große Fragezeichen hängen im Raum. Mit Ausrufungszeichen.